kritnet unterzeichnet Erklärung türkischer Wissenschaftler*innen und spricht ihnen die volle Solidarität aus.
In der Türkei finden sich die Unterzeichner_innen des Friedens-Aufrufs („We will not be a party to this crime“ [1]) seit einigen Tagen deutlichen Repressionen ausgesetzt. Der Aufruf richtet sich gegen die staatliche Gewalt und Repression in den kurdischen Gebieten und ist von vielen türkischen sowie internationalen Wissenschaftler_innen, darunter David Harvey, Noam Chomsky, Etienne Balibar, Erik Swyngedouw, Judith Butler und vielen anderen unterzeichnet worden. Die türkischen Kolleg_innen sind seitdem zunehmenden Repressionen ausgesetzt worden. Dazu gehören öffentliches Anprangern, Gewalt- und Morddrohungen von nationalistischer, nicht-staatlicher Seite. Aber es drohen auch staatliche Sanktionen, auch von Seiten des türkischen Hochschulverbandes und einzelner Universitäten die zum Teil bereits vollzogen wurden.
Erdogan war es in seiner Stellungnahme zum Anschlag in Istanbul vom 12. Januar wichtiger, die Unterzeichner_innen des Aufrufs anzugreifen, als über den Anschlag selbst zu reden. Er sagte sinngemäß, entweder ihr seid auf der Seite der Terroristen, oder auf der Seite der türkischen Regierung. Die Tatsache, dass viele Menschen aus anderen Ländern mittlerweile den Call unterzeichnet haben, nannte Erdogan „the mentality of colonialism“. Zwei Stunden später hat der türkische Hochschulrat (YÖK) angekündigt, „die notwendigen Schritte zu unternehmen“. An zahlreichen Universitäten werden Kündigungen der Mitzeichner_innen angestrebt und zum Teil bereits vollzogen. Seit gestern wird gegen alle 1128 Erstunterzeichner_innen aus der Türkei wegen Beleidigung der türkischen Nation, des Staates der türkischen Republik und der Organe des Staates ermittelt (Artikel 301). Auf der Seite Bianet.org finden sich Informationen in englischer Sprache zu den aktuellen Entwicklungen.
[1] Über folgende Mailadresse lässt sich die Stellungnahme unterstützen: info@barisicinakademisyenler.net
Wir, die Akademiker/innen und Wissenschaftler/innen dieses Landes werden nicht Teil dieses Verbrechens sein!
Der Türkische Staat verurteilt seine Bürger/innen in Sur, Silvan, Nusaybin, Cizre und in vielen weiteren Orten mit wochenlangen Ausgangssperren zum Verhungern und Ausdursten. Unter kriegsartigen Zuständen werden ganze Viertel und Stadtteile mit schweren Waffen angegriffen. Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, auf Freiheit und Sicherheit vor Übergriffen, insbesondere das Verbot von Folter und Misshandlung, praktisch alle Freiheitsrechte, die durch die Verfassung und durch die Türkei unterzeichnete internationale Abkommen unter Schutz stehen, werden verletzt und außer Kraft gesetzt.
Diese gezielt und systematisch umgesetzte gewaltsame Vorgehensweise entbehrt jeglicher rechtlicher Grundlage. Sie ist nicht nur ein schwerwiegender Eingriff in die Rechtsordnung, sondern verletzt internationale Rechtsnormen wie das Völkerrecht, an die die Türkei gebunden ist.
Wir fordern den Staat auf, diese Vernichtungs- und Vertreibungspolitik gegenüber der gesamten Bevölkerung der Region, die jedoch hauptsächlich gegen die kurdische Bevölkerung gerichtet ist, sofort einzustellen. Alle Ausgangssperren müssen sofort aufgehoben werden. Die Täter und die Verantwortlichen der Menschenrechtsverletzungen müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Die materiellen und immateriellen Schäden, die von der Bevölkerung zu beklagen sind, müssen dokumentiert und wiedergutgemacht werden. Zu diesem Zweck verlangen wir, dass nationale und internationale unabhängige Beobachter freien Zugang zu den zerstörten Gebieten erhalten, um die Situation vor Ort einzuschätzen und zu dokumentieren.
Wir fordern die Regierung auf, die Bedingungen für eine friedliche Beilegung des Konflikts zu schaffen. Hierfür soll die Regierung eine Roadmap vorlegen, die Verhandlungen ermöglicht und die Forderungen der politischen Vertretung der kurdischen Bewegung berücksichtigt. Um die breite Öffentlichkeit in diesen Prozess einzubinden, müssen unabhängige Beobachter aus der Bevölkerung zu den Verhandlungen zugelassen werden. Wir bekunden hiermit unsere Bereitschaft, freiwillig an dem Friedensprozess teilzunehmen. Wir stellen uns gegen alle repressiven Maßnahmen, die auf die Unterdrückung der gesellschaftlichen Opposition gerichtet sind.
Wir fordern die sofortige Einstellung der staatlichen Repressionen gegen die Bürger/innen. Als Akademiker/innen und Wissenschaftler/innen dieses Landes bekunden wir hiermit, dass wir nicht Teil dieser Verbrechen sein werden und in den politischen Parteien, im Parlament und in der internationalen Öffentlichkeit, Initiative ergreifen werden, bis unser Anliegen Gehör findet.
Für internationale Unterstützung, senden Sie bitte ihre Unterschrift mit relevanter Information an die E-Mail Adresse: info@barisicinakademisyenler.net