Von Blockupy zum sozialen Streik
Diskussion Der Politikwissenschaftler Sandro Mezzadra über die Proteste in Frankfurt und den Versuch, transnationale Kämpfe zusammenzuführen
Veröffentlicht in Analyse und Kritik 604
Interview und Übersetzung aus dem Englischen: Lee Hielscher und Lisa Riedner
Sandro Mezzadra ist Professor für Politische Theorie an der Universität Bologna und aktiv im postoperaistischen Netzwerk UniNomade. Ende März diskutierte er in Zürich auf der Tagung des Netzwerks kritische Migrations- und Grenzregimeforschung (kritnet) mit Forscher_innen, Aktivist_innen und Künstler_innen über Ökonomie und Rassismus im europäischen Migrations- und Grenzregime. Am Rande des Treffens sprach er mit ak.
Der Wahlsieg von SYRIZA in Griechenland und die Blockupy-Proteste in Frankfurt verweisen auf eine neue Dynamik linker Bewegungen im Europa der Krise. Wie würdest du die aktuelle Situation analysieren?
Sandro Mezzadra: Im Zuge der Krise sind wir in der Tat mit neuen Dynamiken und neuen Möglichkeiten konfrontiert. Gerade in Griechenland und Spanien haben sich in den letzten Jahren ganz außergewöhnliche Kämpfe auf der Ebene des alltäglichen Lebens entwickelt. Sie stießen aber auch an eindeutige Grenzen, was unter anderem mit der dominanten Rolle des Finanzsektors zu tun hat. Die Arbeiterbewegungen haben im Laufe ihrer Geschichte einige Werkzeuge gegen das industrielle Kapital entwickelt. Aber das Finanzkapital agiert nach völlig anderen Logiken . Eine Fabrik kann durch Streik zum Stillstand gebracht werden, aber gegen das Finanzkapital hilft das kaum weiter.
Brauchte es deshalb ein Großevent wie die EZB-Eröffnung, weil die Transnationalisierung sozialer Kämpfe nach wie vor schwer fällt?
Ich habe auch so meine Probleme mit Symbolpolitik, aber sie erfüllt nun mal bestimmte Funktionen. Blockupy ist ermutigend, weil in diesem Rahmen über die vergangenen Jahre transnationale Netzwerke ausgebaut und vertieft werden konnten. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach der Zeitlichkeit politischer Praxis. Bei Blockupy können wir drei zeitliche Perspektiven unterscheiden: Eine kurzfristige ist die des Events, der Bruch im absolut Gegenwärtigen. Aber Politik kann nicht darauf reduziert werden. Die zweite Perspektive ist mittelfristiger und fokussiert die der europäischen Krise, was auch die Verhandlungen mit der griechischen Regierung mit einschließt. Dann gibt es noch drittens die langfristige Orientierung: die Fortentwicklung von Vernetzungsprozessen auf einem transnationalen europäischen Niveau. Ich denke, es wäre ein großer Fehler, die eine Perspektive gegen die andere zu stellen. Es ist eben genau die Frage, wie sie miteinander vernetzt werden können. Um das runterzubrechen: Es gibt aktuell die Notwendigkeit, auf europäischer Ebene noch vor dem Sommer etwas zu organisieren, um die griechische Regierung und die andauernde Dynamik der gesellschaftlichen Kämpfe in Griechenland zu unterstützen und sich auch der Situation in Spanien zuzuwenden. In Bezug auf die langfristige Perspektive denke ich eher an so etwas wie einen transnationalen, sozialen Streik. Dieser kann nicht als ein Event verstanden werden – wann genau sollte er auch sein? –, sondern viel eher als ein Prozess des Experimentierens, des Akkumulierens von Erfahrungen und von Kämpfen.
Schauen wir uns doch aktuelle Kämpfe an, wie den Protest gegen Lohnbetrug von rumänischen Bauarbeitern durch die Mall of Berlin, die widerständige Praxis polnischer Pflegerinnen im Schweizer Netzwerk Respekt, die Organisierung von Arbeitern bei Amazon…
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