Folgenden offenen Brief haben wir heute versendet.
Einbettung demografischer Forschung in nationalistische und rassistische Perspektiven
auf Migration
Sehr geehrte Autor_innen des Call for Papers „The Fertility of Migrants and Minorities“,
mit Erstaunen haben wir Ihren CfP für den Workshop „The Fertility of Migrants and Minorities“ im Februar 2017 in Hannover zur Kenntnis genommen.
Der CfP stellt zunächst fest, es sei wichtig zu wissen, „to what extent [immigrants’] fertility and the fertility of subsequent migrant generations matter for future population developments“ und kündigt dann als zentrales Forschungs- und Diskussionsinteresse an, die These einer „Assimilation“ der „migrantischen Fertilität“ über „drei Generationen“ überprüfen zu wollen.
Wir halten eine solche Fragestellung ebenso wie ihren demografiepolitischen Bezugsrahmen für hochgradig problematisch. Unseres Erachtens bettet sich eine solche Forschungsausrichtung in nationalistische und rassistische Perspektiven auf Migration ein, auch wenn das im Call bekundete Interesse an rein quantitativen statistischen Faktoren und Korrelationen den Anschein von Neutralität erweckt.
Die Erstellung höchst aggregierter Daten über eine unterschiedliche Geburtenrate von „natives“ einerseits und „immigrants“ oder „minorities“ andererseits ist schon an sich ein fragwürdiges Verfahren. Dieses kann unserer Meinung nach nur dazu beitragen, das Wissen über eine abstrakte durchschnittliche Differenz einer sehr heterogenen Gruppe von Menschen zu generieren, denen als „Migrant_innen“ so ein bestimmtes „reproduktives Verhalten“ zugeschrieben wird. Zudem trägt die Konstruktion einer „zweiten“ oder gar „dritten Generation“ dazu bei, das Anderssein und den Ausschluss aus der nationalen Bevölkerung auch für in Deutschland lebende Kinder und Enkel bis weit in der Zukunft festzuschreiben.
Darüber hinaus befördert dieser demografische Blick auf eine von der deutschen Durchschnittsnorm abweichende „migrantischen Fertilität“ unserer Ansicht nach nur in zweierlei Hinsicht rassistische Blickrichtungen und Ressentiments:
Die Problematisierung einer höheren „migrantischen Fruchtbarkeit“ hat eine lange rassistische Tradition im Rahmen völkisch-nationaler Kräfte. Sie untermauern mit solchen Berechnungen immer wieder Thesen einer drohenden nationalen „Überfremdung“. Diese Kontinuität rassistischer Wissensproduktion lässt sich von den Verlautbarungen des Demografen Herwig Birg über die Thesen eines Thilo Sarrazin bis zum Grundsatzprogramm der AfD heute beobachten.
Aber auch die These einer „Assimilation“ ist unserer Meinung nach höchst problematisch: Aus rein statistischen Durchschnittswerten über die Anzahl von Geburten werden hier Rückschlüsse auf eine „Verhaltensanpassung“ an ein wie auch immer verstandenes deutsches Normverhalten gezogen. Zudem werden Berechnungen über eine „Assimilation“ im Rahmen aktueller Demografiepolitik auch immer wieder dazu herangezogen, um einen geringen Einfluss aktueller oder zukünftig prognostizierter Zuwanderungszahlen auf die zukünftige Alterszusammensetzung der deutschen Nation zu konstatieren – und damit letztendlich Argumente gegen eine migrationspolitische Öffnung zu stärken.
Generell zielt die gesamte Anlage einer solchen Forschung darauf ab, die Gefährlichkeit oder Nützlichkeit von Kindern Zugewanderter oder von Kindern, deren Eltern ein „Migrationshintergrund“ zugeordnet wird, für eine wie auch immer bewertete zukünftige deutsche Bevölkerungsentwicklung auszuloten. Im krassen Unterschied zu dem hegemonialen demografiepolitischen Diskurs über die als zu niedrig erachteten Geburtenraten der deutschen Mittelschichten bleibt zudem die Subjektivität und das Begehren von Migrant_innen typischerweise hier völlig ausgeblendet – so auch im Call. Während es einer pronatalistischen Regierungsprogrammatik seit vielen Jahren darum geht, den deutschen Mittelschichten dazu zu verhelfen, ihre Kinderwünsche zu realisieren, bleiben Migrant_innen hier letztendlich subjektlose Verhandlungsmasse einer nationalistischen Bevölkerungsprogrammatik.
Wir protestieren gegen diese rassistische Anordnung der Fragestellungen Ihres Workshops. Und wir distanzieren uns auch von dem nationalistischen Problemdiskurs, auf den diese Forschung zugeschnitten ist – von Deutschland als „schrumpfender“ oder „alternder Nation“. Gegen einen solchen politischen und methodologischen Nationalismus plädieren wir für eine kritische Migrationsforschung, die sich für eine Perspektive globaler sozialer Rechte und gegen nationalistische Grundhaltungen starkmacht. Wir vertreten mit diesem offenen Brief eine kritische Migrationsforschung, die bereits die epistemischen Grundlagen und politischen Bedingungen einer Kategorisierung derjenigen hinterfragt, die hier zu Migrant_innen mit einem bestimmten „Verhalten“ und zur politischen Verhandlungsmasse gemacht werden.
Mit kollegialen Grüßen,
kritnet – Netzwerk für kritische Migrations- und Grenzregimeforschung