Stellungnahme vom kritnet zum „Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“
zum Download
„Die Neuregelung ist ein groß angelegtes Inhaftierungs- und Abschreckungsprogramm“, erklärt Nelli Foumba Soumaro von „Jugendliche ohne Grenzen“ (JoG): „Dieses Gesetz darf nicht verabschiedet werden. Wir brauchen keine Bleiberechtsregelung für ein Teil von uns, während der Rest mit Inhaftierung, Arbeitsverboten und Einreisesperren rechnen muss!“
Die drastische Kritik von JoG und vielen anderen Flüchtlingsrechtsinitiativen richtet sich gegen das „Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“, an dem die Bundesregierung seit einem Jahr bastelt und das bis Juni dieses Jahres verabschiedet werden soll. Nachdem die Abschiebehaft vor allem durch Urteile des EuGH und des BGH 2014 in die Krise geraten war, soll sie nun restauriert und durch die Hinzunahme neuer Inhaftierungsgründe massiv ausgeweitet werden. Daran hat sich auch nach der Überarbeitung des Gesetzentwurfes Anfang Dezember nichts geändert. Die herangezogenen Indizien zur Konstruktion einer angenommenen „Fluchtgefahr“, die als Legitimation der Inhaftierung gelten, umfassen unter anderem die Verletzung von Mitwirkungspflichten oder die entgeltliche Inanspruchnahme von Fluchthilfedienstleistungen.
Flankiert wird das Inhaftierungsprogramm von der Ausweitung der „Einreise- und Aufenthaltsverbote“: Ungenügende Mitwirkung an der eigenen Abschiebung, Zahlung von 3000 Euro oder mehr für Fluchthilfe, Nichtnachkommen einer gesetzten Ausreisefrist oder Ablehnung des Asylantrags als „offensichtlich unbegründet“ – fast alles, was unter den Bedingungen restriktiver deutsch-europäischer Flüchtlingspolitik die aktuelle Asylsuche in Deutschland ausmacht, kann die Ausländerbehörde mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot sanktionieren. Und ist ein solches Verbot einmal erteilt, ist die Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis, auch bei gesetzlichem Anspruch, ausgeschlossen. Es sei denn, „schutzbedürftige Belange“ stehen dem entgegen. Kurzum: Das neue Gesetz wimmelt nur so von „Ermessensspielräumen“ und „unbestimmten Rechtsbegriffen“, die der Ausländerbehörde erlauben, willkürlich folgenreiche Aufenthaltsverbote zu verhängen. Die gleichzeitig enthaltene Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete wird durch die Verschränkungen mit den geplanten Verschärfungen des Aufenthaltsgesetzes – insbesondere mit den Einreise- und Aufenthaltsverboten – völlig ausgehöhlt. Angesichts der repressiven Veränderungen im Gesetz lässt sich die längst überfällige stichtagsunabhängige Beiberechtsregelung nur als Feigenblatt für ein härteres Vorgehen gegen Asylsuchende verstehen.
Das Gesetz steht im Zusammenhang mit dem Beschluss, Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als „sichere Herkunftsstaaten“ zu definieren. Hierdurch wird Staatsangehörigen dieser Länder praktisch jede Chance auf Flüchtlingsschutz in Deutschland genommen. Das Gesetz ist in einen antiziganistischen Diskurs eingebettet und gießt die Unterstellung des „Asylmissbrauchs“ gegen Roma aus den Westbalkanstaaten in Gesetzesform. Durch Zusammenwirken der beiden Gesetze sollen „Vollzugsdefizite“ bei der Durchsetzung der Ausreisepflicht von Roma aus dem Westbalkan und anderen abgelehnten Asylsuchenden abgebaut werden, mit anderen Worten: mehr Abschiebungen ermöglicht werden.
Die aktuellen Gesetzesverschärfungen können als ein Versuch der Bundesregierung gelesen werden, die Kräfteverhältnisse zu ihren Gunsten zu verschieben und durch eine härtere Gangart der Beseitigung von „Vollzugsdefiziten“ näher zu kommen. Denn das deutsche und europäische Migrationsregime ist in der Krise, wie die aktuellen Auseinandersetzungen um die Dublin-Regulierung zeigen: Nur ein kleiner Teil der Menschen, die einen Dublin-Bescheid erhalten, werden tatsächlich aus Deutschland in einen anderen Vertragsstaat abgeschoben. Zuletzt haben diverse Gerichtsentscheidungen dazu geführt, dass die Kriterien für Dublin-Überstellungen in bestimmte Länder angehoben wurden. Hinzu kommen erfolgreiche Widerstandsaktionen, z.B. auf lokaler Ebene in Osnabrück oder der erneute Bedeutungsgewinn des Kirchenasyls in den letzten Jahren. Selbst Regierungsvertreter_innen räumen mitunter ein, dass Dublin mit seinem Primat des „Verursacherprinzips“ gescheitert ist. Die Gesetzesverschärfungen lesen sich in diesem Kontext als ein verzweifelter Versuch, durch Inhaftierungen Abschiebungen wieder praktikabel zu machen. Doch auch diese neuesten Versuche der Migrationskontrolle werden scheitern. Menschen werden aus verschiedensten Gründen auch weiterhin nach Europa kommen, und sie werden Strategien finden, mit der Situation umzugehen. Sie werden Strategien finden, um zu vermeiden, dass sie etwa in Ungarn im Gefängnis oder in Italien in der Obdachlosigkeit landen oder dass ihre Familien auseinandergerissen werden. Eine Migrationspolitik, die diese Realität verkennt, wird Menschen nicht aufhalten, aber sie wird ihre Lebens- und Reisebedingungen massiv verschlechtern und Leid, Angst und Belastungen erzeugen.
Deshalb sprechen wir uns entschieden gegen die geplanten Gesetzesverschärfungen aus und solidarisieren uns mit den aktuellen bundesweiten Protesten. Für die freie Mobilität aller und das Recht auf politische und soziale Teilhabe – unabhängig von Papieren und Status!
kritnet – Netzwerk kritische Migrations- und Grenzregimeforschung
April 2015
weitere Infos hier